2020 war Ghost of Tsushima mehr als nur ein weiterer Open-World-Hit. Es war ein echtes Ereignis. Sucker Punch Productions lieferte mit einer Mischung aus Kunstwerk, packendem Schwertkampf und emotionalem Storytelling das Samurai-Abenteuer, auf das viele gewartet hatten. Der Druck auf ein Sequel war entsprechend groß. Jetzt, fünf Jahre später ist Ghost of Yōtei exklusiv für die PlayStation 5 erschienen. Das Unternehmen sollte dabei die Konsole an ihre Grenzen bringen.
Das hier ist kein bloßes Ghost of Tsushima 2. Das Spiel schlägt sofort einen eigenen Weg ein und spielt 300 Jahre in der Zukunft, in der rauen Nordregion von Ezo, dem heutigen Hokkaido. Die Geschichte um Jin Sakai liegt hinter uns. Diesmal steht Atsu im Mittelpunkt, eine Onna-musha, also eine weibliche Kriegerin. Ihr Ziel ist nicht die Rettung eines Landes, sondern die persönliche Rache an den „Yōtei Six“. Dabei handelt es sich um jene sechs Gesetzlosen, die ihre Familie vor sechzehn Jahren ausgelöscht haben. Schon dieser Auftakt verrät, dass hier eine dunklere, intimere und von Wut getriebene Story erzählt wird.
Das Ergebnis ist ein Sequel, das technisch beeindruckt und spielerisch vieles verfeinert, was schon beim Vorgänger sehr gut funktionierte. Atsu ist eine der stärksten neuen Figuren seit Jahren, und auch das Kampfsystem hat spürbar an Tiefe gewonnen. Gleichzeitig zeigt sich aber auch ein Riss im Fundament, denn Ghost of Yōtei ist grundsätzlich grandios gemacht, doch das Open World-Design wirkt schon fast zu sehr vertraut. Unterm Strich bleibt ein Spiel, das einerseits glänzt, aber andererseits zugleich aneckt. Es ist das perfekte Abbild einer Formel, die sich langsam selbst überlebt.
Ghost of Yōtei Review

Die Geschichte von Ghost of Yōtei basiert auf einer klaren und starken Idee. Gleich zu Beginn schreibt Atsu eine Todesliste mit sechs Namen und sechs Zielen. Ihre Mission ist eindeutig. Sie will all jene zur Strecke bringen, die ihr Leben zerstört haben. Diese Struktur gibt der Story einen messerscharfen Fokus und treibt das Spiel konstant voran. Es ist eine klassische Rachegeschichte, wesentlich direkter als Jin Sakais innerer Konflikt zwischen Samurai-Ehre und Überlebensinstinkt.
Diese Klarheit ist Fluch und Segen zugleich. Emotional funktioniert die Geschichte hervorragend und wird von einer starken Hauptfigur und intensiven Dialogen getragen. Themenscouting wie bei Tsushima mit Ehre, Opfer und Kriegsethik sucht man hier aber vergeblich. Atsus Weg ist persönlicher, roher und enger. Die Handlung bleibt zwar vorhersehbar, ist aber mit starken Momenten und spürbarer Wut packend erzählt. Nur gelegentlich bremst ein altbekannter Trick den Erzählrhythmus aus. Zum Beispiel, wenn ein Gegner in letzter Sekunde entkommt und dadurch das Spiel unnötig verlängert.
Ein Highlight ist aber mit Sicherheit die Flashback-Mechanik. An bestimmten Orten, etwa den Ruinen von Atsus Kindheitshaus, ist es möglich, per Knopfdruck in die Vergangenheit zu springen und als junge Version von Atsu zu spielen. Diese nahtlosen Rückblenden sind brillant umgesetzt und machen den emotionalen Verlust greifbar.
Auch wenn die Story inhaltlich ein wenig schlicht bleibt, ist Atsu eine großartige Protagonistin. Sie ist stärker, greifbarer und lebendiger als Jin Sakai. Ihr Design wirkt realistisch, funktional und nie sexualisiert. Sie wirkt stark, entschlossen und vollkommen authentisch. Erika Ishii leiht ihr die Stimme und trifft den Ton dafür perfekt. Atsu wirkt wütend, verletzlich und vor allem kompromisslos. Ihr Können zu Beginn des Spiels mag etwas übertrieben wirken, da es den Spielfortschritt zu relativieren scheint, doch die Story erklärt das logisch. Denn mehr als zehn Jahre als Söldnerin haben sie zu der zähen Kämpferin gemacht, die sie im Spiel darstellt.
Ghost of Yōtei Gameplay
Der größte Unterschied zum Vorgänger liegt im Kampfsystem. Statt der bekannten vier Stile aus Tsushima steht Atsu ein komplettes Waffenarsenal zur Verfügung. Sie wechselt fließend zwischen Katana, Doppelklingen, Speer, mächtigem Ōdachi und dem vielseitigen Kusarigama, einer Kette mit Sichel. Das Prinzip „Stein-Schere-Papier“ bleibt zwar, denn jede Waffe hat Stärken gegen bestimmte Gegnertypen, aber der Spielfluss fühlt sich völlig neu an.
Dieses System spiegelt Atsus Charakter perfekt wider. Jin war ein Samurai, sein Disziplin-Training drückte sich in seinen Haltungen aus. Atsu dagegen ist eine Pragmatikerin, die von Rache und nicht von Ehre getrieben ist. Sie nutzt das, was funktioniert, dazu gehören auch die Waffen gefallener Gegner. Das Gameplay unterstreicht so ihren kompromisslosen Überlebensinstinkt.
Die erweiterte Waffenvielfalt bringt frischen Schwung in die Duelle. Die Kusarigama ragt dabei heraus, denn sie ist vielseitig, präzise und tödlich auf jede Distanz. Allerdings wirkt das physische Wechseln der Waffen etwas schwerfälliger als die fließenden Stilwechsel des Vorgängers. Dadurch geht stellenweise der Flow verloren, der Tsushimas Gefechte einst so geschmeidig wirken ließ.
Das Kampfgefühl überzeugt trotzdem auf ganzer Linie. Animationen, Reaktionen und Timing passen perfekt. Die berühmten Duelle und stimmungsvollen Showdowns sind zurück, und das intensiver denn je.
Ghost of Yōtei ist allerdings deutlich schwieriger geraten. Auf höheren Levels attackieren die Gegner aggressiver, die Paraden erfordern perfektes Timing, die Bosse bestrafen sofort jeden Fehler. Für viele ist das eine willkommene Herausforderung, vor allem Newbies werden den ausgewogeneren Schwierigkeitsgrad des Vorgängers vermissen.
Sucker Punch hat auch jenseits des Schwertkampfs nachgelegt. Die Stealth-Einlagen sind nicht mehr ganz so wichtig, dafür großzügiger umgesetzt. Wer auffliegt, bekommt einfach mehr Action. Neu ist ein Wolf als Begleiter, der im Kampf hilft und den Spieler im Notfall zurückholt. Mit dem Camp-System kommen zudem ruhige Momente zum Ausruhen, Kochen und Aufstocken der Vorräte ins Spiel. Das sind kleine, aber stimmige Ergänzungen, die dem Spielrhythmus guttun.
Sehr wahrscheinlich finden diese neuen Gameplay-Elemente auch ihren Weg in den zurückkehrenden Koop-Modus Legends, der 2026 als DLC nachgereicht wird.
Ghost of Yōtei: Map, Atmosphäre und Design

Visuell ist Ghost of Yōtei eine Wucht. Es setzt einen neuen Maßstab auf der PlayStation 5 und übertrifft das ohnehin schon schöne Tsushima deutlich. Ezo ist bis ins kleinste Detail gestaltet. Die Schneefelder verformen sich realistisch, Pflanzen lassen sich mit der Klinge zerteilen, Licht und Wetter wechseln dynamisch.
Die Welt ist in sechs Regionen unterteilt und clever aufgebaut. Dank markanter Punkte wie dem allgegenwärtigen Mount Yōtei wirkt die Karte größer, als sie tatsächlich ist, ohne deswegen leer oder überladen zu sein.
Doch unter dieser Schönheit liegt mit dem Open-World-Design das größte Streitthema des Spiels. Ghost of Yōtei kann sich riesig anfühlen, manchmal aber auch überladen und zu vertraut. Die Karte quillt über vor Symbolen und Routineaufgaben, die schnell Monotonie erzeugen. So wirkt die prachtvolle Welt neben Spielen wie Elden Ring oder Breath of the Wild etwas veraltet.
Andererseits perfektioniert das Spiel genau dieses Konzept. Gerade durch das freie, organische Erkunden entsteht das Gefühl, dass jeder Schritt in dieser Welt etwas bringt. Die Nebenmissionen sind abwechslungsreicher und belohnen die Spieler oft mit neuen Fähigkeiten oder Ausrüstung. Auch der Guiding Wind feiert sein Comeback und sorgt wieder auf elegante Weise und ganz ohne Minimap-Chaos für Orientierung. Dieses Wechselspiel prägt das ganze Spiel, denn es ist perfekt umgesetzt, doch erzählerisch bleibt alles beim Alten.
Eine Geschichte zweier Kulturen

Die Handlung spielt 1603 in Ezo zu einer Zeit, in der dort das indigene Volk der Ainu lebte. Ihre Kultur und Geschichte sind eng mit der Region verknüpft, zugleich aber durch Kolonisierung stark geprägt. Für ein westliches Studio wie Sucker Punch war das ein heikles Thema, denn eine ungenaue Darstellung oder kulturelle Vereinnahmung hätte schnell Kritik ausgelöst.
Das Team hat diese Verantwortung ernst genommen. Laut Entwicklerangaben wurden eigens Ainu-Berater eingebunden, um die Siedlungen und Bräuche sowie die Spiritualität möglichst authentisch darzustellen. Sogar Gameplay-Elemente wie das Sammeln und Jagen entstanden aus diesen Recherchen und sind inspiriert von der tiefen Naturverbundenheit der Ainu. Mit dieser transparenten Vorgehensweise gelang es dem Studio, eine authentische Welt zu gestalten und zugleich zu zeigen, dass respektvolle Darstellung längst zum Handwerk moderner Spieleentwicklung gehört.
Ghost of Yōtei: Abschließende Gedanken
Ghost of Yōtei lebt vom Widerspruch zwischen Perfektion und Stillstand. Es ist präziser, schöner und emotionaler als sein Vorgänger, aber es wagt kaum Neues.
Wer Ghost of Tsushima geliebt hat, bekommt hier die ultimative Version davon mit härteren Kämpfen, spektakulären Landschaften und einer starken Heldin. Atsu ist ohne Zweifel eine der herausragendsten Figuren dieser Konsolengeneration. Aber wer die altbewährte Open-World-Formel satt hat, dürfte sich fragen, ob selbst diese Schönheit noch Neues erzählen kann.
Ghost of Yōtei verlässt den Schatten des Vorgängers nicht, es zieht die Klinge darin nur schärfer als je zuvor.
Pros & Cons
Pros | Cons |
Atemberaubende Open World mit neuer grafischer Messlatte auf der PlayStation 5 | Die Open-World-Struktur wirkt vertraut und wiederholt sich spürbar |
Atsu ist eine starke, glaubwürdige und erfrischend unsexualisierte Hauptfigur | Die Story ist emotional, aber weniger komplex als beim Vorgänger |
Das Kampfsystem bleibt flüssig, brutal und kinoreif. Jede Parade ist ein Genuss | Der Übergang von den Kampfhaltungen zu den Waffen wirkt nicht ganz so fließend wie im Original |
Neue Waffen und Mechaniken bringen spürbare taktische Vielfalt | Der höhere Schwierigkeitsgrad könnte Gelegenheitsspieler abschrecken |
Fans der bewährten Tsushima-Formel erleben hier ihre flüssigste und stimmigste Umsetzung |