Ich muss ehrlich sein: Die ersten 30 Minuten mit Hell Is Us waren einfach nur frustrierend. Ich habe ständig auf eine nicht vorhandene Map-Taste gehämmert, bin in einer zerstörten Stadt im Kreis gelaufen und hatte überhaupt keine Ahnung, was das Spiel eigentlich von mir wollte. Es ist eines dieser Spiele, das euch absichtlich verloren fühlen lässt. Ein Gefühl, das moderne Spiele normalerweise mit allen Mitteln vermeiden. Doch genau darin liegt das Faszinierende: Diese Verwirrung ist Absicht.
Hell Is Us verzichtet bewusst auf all das, was ihr sonst für selbstverständlich haltet. Keine Minimap, kein Kompass, keine leuchtenden Wegpunkte. Stattdessen müsst ihr euch komplett auf eure Augen, euer Gehör und euren Instinkt verlassen. Das ist eine mutige Entscheidung in einer Zeit, in der ständig über Schwierigkeit und Zugänglichkeit diskutiert wird. Und ja, das wird sicher nicht allen gefallen. Aber genau dieser Verzicht ist der Kern dessen, was Hell Is Us so anders und stellenweise so brillant macht.
Hell Is Us Rezension: Eine verstörende Welt mit einer rätselhafte Geschichte
Die zurückhaltende Erzählweise von Hell Is Us zieht sich nicht nur durch das Gameplay, sondern auch durch die Handlung selbst. Ihr spielt Rémi, einen Mann, der nach vielen Jahren in seine zerrissene Heimat Aramat zurückkehrt, wo der Krieg seine brutalen Spuren hinterlassen hat. Der Bürgerkrieg hat seine Familie auseinandergerissen, da seine Eltern während der Kämpfe spurlos verschwunden sind. Aus diesem Grund sucht er nun verzweifelt nach Antworten, und das in einem Land voller Ruinen und Geister der Vergangenheit.

Doch Aramat ist längst kein normales Land mehr. Eine geheimnisvolle Katastrophe, nur als „Calamity“ bekannt, hat die Region verwüstet und grauenhafte Kreaturen hervorgebracht. Die sogenannten „Revenants“. Diese Wesen wirken wie lebendig gewordene Statuen alter Götter und werden scheinbar von Gewalt und menschlichem Leid angezogen. Es ist eine Welt, in der Spiritualität, Wahnsinn und Geschichte ineinander übergehen.
Wie schon bei der Erkundung, müsst ihr euch auch die Geschichte selbst zusammenreimen. Es gibt kaum klassische Zwischensequenzen oder Erklärungen. Stattdessen erfahrt ihr von den Ereignissen durch kryptische Objektbeschreibungen, vergilbte Tagebuchseiten und durch die Umgebung selbst. Ihr stoßt auf verlassene Häuser mit verzweifelten Notizen an den Wänden oder auf Checkpoints, an denen der letzte Funkspruch einer Militäreinheit auf ewig verhallt.
Hell Is Us interessiert sich nicht so richtig dafür, euch eine lineare Geschichte zu erzählen, sondern vielmehr dafür, euch in seine bedrückende Atmosphäre zu ziehen. Alles fühlt sich rätselhaft, fremd und beunruhigend an. Als würdet ihr in einem Traum wandeln, der kurz davor ist, zum Albtraum zu kippen. Rémis Suche nach seinen Eltern ist dabei nur der Ausgangspunkt für eine viel größere, mystische Reise. Die wahren Hintergründe der Calamity und das Schicksal seiner Familie bleiben dabei bewusst im Dunkeln, und genau das macht die Faszination aus.
Rätsel, die eure volle Aufmerksamkeit verlangen
Keine anständige Map zu haben ist nicht nur ein Gimmick, es bildet das Fundament für das Beste, was Hell Is Us zu bieten hat: seine Rätsel.

Diese Aufgaben sind keine kleinen Nebenaktivitäten, die ihr nur erledigt, um ein bisschen Beute zu bekommen. Nein, sie sind der Kern eures Fortschritts, die fest in der Spielwelt verwoben sind. Hell Is Us verlangt also nicht einfach, dass ihr ein Rätsel löst. Es verlangt, dass ihr überhaupt erkennt, dass ihr gerade eines vor euch habt, und dass ihr euch wirklich darauf einlasst.
Das Spiel will, dass ihr selbst beobachtet, kombiniert und erinnert. Es will, dass ihr euch Zeit nehmt, dass ihr neugierig seid, dass ihr Umgebungen aus allen Winkeln betrachtet. Es ist eines dieser Spiele, bei denen ihr euch am besten wirklich einen Notizblock oder euer Handy bereithaltet, weil es sich schlicht weigert, die Denkarbeit für euch zu übernehmen.
Vielleicht findet ihr eine Reihe verschlossener Türen, jede mit einem seltsamen Symbol versehen, aber weit und breit keine Schlüssel oder Hebel. Die Lösung? In einer halb eingestürzten Kirche, ein paar Straßen weiter, zeigt ein zerbrochenes Wandgemälde dieselben Zeichen in einer bestimmten Reihenfolge, die die Geschichte der Calamity erzählt.
Das Spiel erwartet, dass ihr nicht nur das Symbol erkennt, sondern auch versteht, was es bedeutet, dass ihr euch Notizen macht, sie später wieder hervorholt und das Rätsel selbst zu Ende denkt.
Ein anderes Beispiel: In einer verfallenen Bibliothek fällt Mondlicht durch ein Loch in der Decke und beleuchtet ein einzelnes Symbol am Boden. Um das Rätsel zu lösen, müsst ihr riesige Statuen im Raum drehen, bis die Gegenstände, die sie halten, wie ein Schwert, ein Buch oder eine Waage, Schatten werfen, die sich exakt mit dem Lichtmuster decken. Keine blinkenden Marker, keine Texteingaben, keine „Drücke X zum Lösen“ Aufforderung. Nur ihr, euer Verstand und die Umwelt.
Diese Momente, in denen ihr plötzlich erkennt, wie alles zusammenpasst, oft erst eine Stunde, nachdem ihr den entscheidenden Hinweis gesehen habt, sind unglaublich befriedigend. Sie geben euch das Gefühl, ein echter digitaler Archäologe zu sein, der in einer vergessenen Welt die Sprache der Vergangenheit wiederentdeckt. Und wenn ihr schließlich das letzte Teil des Puzzles löst, spürt ihr, wie das Spiel euch auf ganz subtile Weise für euer Durchhaltevermögen belohnt.
Wie es sich spielt: Zwischen Entdeckung und Verzweiflung
Was macht ihr eigentlich, wenn ihr gerade keine Rätsel löst? Hell Is Us ist ein Spiel, das euch sowohl Geduld als auch Aufmerksamkeit abverlangt. Es kombiniert Erkundung, Überleben und Kampf zu einem entschleunigten, aber intensiven Erlebnis, das jede eurer Entscheidungen zählen lässt.
Da ihr keine Map habt, wird das Erkunden zu einer ständigen, aber lohnenden Herausforderung. Ihr lernt, euch wie in einer echten, unbekannten Umgebung zu orientieren. Nicht mit Symbolen, sondern mit markanten Orientierungspunkten wie einem alten Uhrturm, einer zerstörten Brücke oder einem umgestürzten Bus. Nach und nach entsteht so eure eigene mentale Map.

Euer wichtigstes Hilfsmittel ist eine kleine Drohne, euer vielseitiges Multitool. Sie kann die Umgebung scannen, Feinde markieren oder versteckte Pfade aufdecken. Doch ihr wahres Potenzial entfaltet sich erst mit den Modulen, die ihr im Laufe des Spiels findet. Das „Kinetic Pulse“ Modul lässt die Drohne eine Schockwelle ausstoßen, die Gegner kurzzeitig betäubt. Leider auf Kosten ihrer Batterie, die sich nur langsam regeneriert. So müsst ihr euch gut überlegen, wann ihr sie einsetzt. Das „Circuit Overload“ Modul wiederum erlaubt ihr, mit Schaltkreisen zu interagieren, Strom umzuleiten oder verschlossene Türen zu öffnen. Diese Mechanik verleiht der Erkundung zusätzliche Tiefe und verbindet geschickt Rätsel, Erkundung und Taktik.
Der Spielfluss wirkt dadurch organisch, denn ihr beobachtet, probiert, improvisiert und lernt dabei, der Welt zu vertrauen, statt einem HUD.
Kämpfe auf Messers Schneide
Wenn es dann doch zum Kampf kommt, zeigt Hell Is Us seine gnadenlose Seite. Das Kampfsystem ist auf Nahkampf ausgelegt, kompromisslos und präzise. Jeder Schlag, jede Ausweichrolle, jeder Block kostet Ausdauer. Planloses Herumfuchteln wird also sofort bestraft. Stattdessen verlangt das Spiel ruhiges Beobachten und gutes Timing.
Das Parieren ist das Herzstück des Systems: Ein perfekt getimter Block schleudert den Gegner zurück und öffnet ein Fenster für einen vernichtenden Gegenschlag. Doch verpasst ihr das Timing, ist eure Ausdauer leer. Ihr steht dann dem nächsten Hieb hilflos gegenüber. Zwar erlaubt euch das Spiel, Feinde per Schleicheingriff aus dem Hinterhalt auszuschalten, doch meist enden die Begegnungen in brutaler, offener Konfrontation.
Ihr könnt verschiedene Waffenarten meistern, vom schnellen Einhandschwert für präzise Angriffe bis zur wuchtigen Doppelaxt, die Gegner zurückschleudert, aber euch selbst verwundbar macht. Speere und Stangenwaffen bieten zusätzliche Reichweite und eignen sich, um Distanz zu halten. Durch gesammelte Materialien wie Korrosionsfäden oder Maschinenschrott lassen sich Waffen an Werkbänken verbessern oder mit passiven Belohnungen versehen.
Der wahre Zauber des Systems liegt jedoch im „Healing Pulse“. Es gibt keine Heiltränke und auch keine Erste-Hilfe Pakete. Die einzige Möglichkeit, Lebensenergie zurückzugewinnen, ist mit einem guten Angriff. Wenn ihr also mit nur einem winzigen Rest Gesundheit gegen zwei Kreaturen kämpft, bleibt euch kein Rückzug. Ihr müsst immer nach vorn.
Ein riskanter Parry, ein gezielter Treffer, und mit jedem Schlag pulsiert grünes Licht über den Bildschirm, begleitet vom befriedigenden Klang splitternder Knochen. Dieses System verwandelt Verzweiflung in Adrenalin, macht jeden Kampf zu einem Tanz zwischen Risiko und Triumph.
Doch so genial das Kampfsystem auch ist, es scheitert ein Stück weit an seiner Monotonie. Die meisten Kämpfe verlaufen gegen dieselben wenigen Revenant Archetypen: langsam schlurfende Nahkämpfer, flinke „Stalker“, die euch flankieren wollen, und seltene, gepanzerte Kolosse, die nur durch präzise Paraden oder Drohnenstöße verwundbar sind. Ihre Angriffsmuster wiederholen sich schnell, wodurch das anfängliche Grauen irgendwann Routine wird. Es baut so auch die meisterhafte Spannung von Hell Is Us ab, die langsam verpufft.
Fazit: Solltet ihr Hell Is Us spielen?
Das hängt ganz davon ab, was ihr von einem Spiel erwartet, und was ihr bereit seid, ihm zu geben. Hell Is Us richtet sich eindeutig an eine ganz bestimmte Art von Spielern. An jene unter euch, die Geduld haben, gerne erkunden, Umwege in Kauf nehmen und die Freude daran finden, Rätsel eigenständig zu durchschauen, ohne dass euch ein Pfeil den Weg weist.
Wenn ihr euch gern in einer Welt verliert, in der Beobachtung wichtiger ist als Action, dann solltet ihr diesem Abenteuer definitiv eine Chance geben. Es ist mutig, anders und manchmal erstaunlich meditativ. Kurz gesagt einfach ein seltener Fund in der heutigen Gaming Landschaft.
Wer jedoch wenig Zeit zum Spielen hat, sich schnell über Orientierungslosigkeit ärgert oder nach schnellen, flüssigen Kämpfen sucht, wird hier vermutlich nicht glücklich. Hell Is Us verlangt viel Geduld, Aufmerksamkeit und eine gewisse Gelassenheit. Gebt ihr dem Spiel aber, was es von euch verlangt, dann bekommt ihr ein Erlebnis zurück, das sich authentisch, fordernd und einzigartig anfühlt. Ein Abenteuer, das nicht jeden fesselt, aber jene, die es versteht, umso tiefer beeindruckt.
| Vorteile | Nachteile |
| Ein wirklich einzigartiges und intensives Erkundungserlebnis | Keine Map zu haben wird für manche Spieler extrem frustrierend sein |
| Clevere und lohnende Umwelträtsel, die euren Verstand fordern | Der Kampf kann sich trotz guter Grundlagen etwas steif anfühlen |
| Die Drohne ist ein vielseitiges und unverzichtbares Multitool für Erkundung und Kampf | Die minimalistische Geschichte wirkt unterentwickelt und bietet kein zufriedenstellendes Ende |
| Das „Healing Pulse“ Kampfsystem ist eine brillante Idee | Zu wenig Gegnervielfalt lässt die Kämpfe auf Dauer repetitiv wirken |
| Fantastische Atmosphäre mit dichter, bedrohlicher Stimmung | — |
Plattformen: PC, PlayStation 5, Xbox Series X/S
Entwickler: Rogue Factor
Herausgeber: Nacon
Erscheinungsdatum: 3. September 2025
