Wenn ihr schon einmal Paradox Spiele gespielt habt, kennt ihr bestimmt die Frage: „Mit welchem Spiel soll ich anfangen?“ Und ehrlich gesagt, jeder von uns hat da eine andere Meinung. Manche schwören auf das charaktergetriebene Crusader Kings, andere lieben die fokussierte Kriegsplanung von Hearts of Iron. Doch mit Europa Universalis V hat Paradox etwas geschaffen, das die Community plötzlich vereint. Vielleicht nur nicht, im Sinne von „Startet hier, wenn ihr neu seid“.
Denn so viel steht fest: Fangt nicht mit Europa Universalis V an.
Lustigerweise war der Vorgänger, EU4, jahrelang genau die Antwort auf diese Frage. Aber EU5 geht einen ganz anderen Weg. Wo EU4 euch noch als Kartenmaler mit ständigem Expansionsdrang durch die Jahrhunderte führte, zwingt euch EU5 zu einem feineren Balanceakt, zwischen internen Machtinteressen, Ressourcen und dem schmalen Grat zwischen Fortschritt und Chaos.
Ein schwieriger Einstieg für Newbies

Wenn ihr schon Erfahrung mit Paradox Spielen habt, wisst ihr, dass der Einstieg selten einfach ist. Europa Universalis V legt da aber noch einmal eine Schippe drauf. Während EU4 euch mit etwas Geduld und Neugier schnell an seine Systeme herangeführt hat, ist EU5 von Anfang an gnadenlos komplex. Es erwartet von euch, dass ihr nicht nur euer Land ausweitet, sondern auch versteht, wie jede kleine Entscheidung das Gleichgewicht eurer Nation ins Wanken bringen kann.
Schon der Versuch, als gälisches Schottland ein paar irische Grafschaften zu übernehmen, also Gebiete mit derselben Religion und enger kultureller Verwandtschaft, kann euch das politische Rückgrat brechen. Wo ihr in EU4 längst an eurer Weltherrschaft bastelt, müsst ihr in EU5 froh sein, wenn euer Reich nicht schon an inneren Spannungen zerfällt. Statt von einem interkontinentalen Imperium zu träumen, träumt ihr hier davon, einfach Berwick-upon-Tweed zu behalten.
Das klingt vielleicht frustrierend und manchmal ist es das auch. Aber genau darin liegt der Reiz: Europa Universalis V will nicht, dass ihr einfach nur expandiert. Es will, dass ihr euer Land versteht, dass ihr euch mit Adel, Bürgertum und Bauernschaft auseinandersetzt. Jeder Fortschritt hat seinen Preis, und selbst ein kleiner Sieg kann sich wie eine strategische Meisterleistung anfühlen.
Gerade für Anfänger kann das abschreckend wirken. Doch wer die Herausforderung sucht und bereit ist, sich auf die Tiefe des Systems einzulassen, wird hier ein sehr spannendes Spiel finden, das euch mit jeder Entscheidung ein Stück mehr verführen und begeistern wird.
Ein neues Gleichgewicht der Mächte

Was in Europa Universalis IV noch reines Erobern war, fühlt sich in EU5 plötzlich wie ein politisches Jongliermanöver an. Ihr seid nicht mehr nur Erober, sondern Manager eures eigenen Machtapparats. Aber aufgepasst, denn dieser Apparat kann jederzeit implodieren, wenn ihr die falschen Prioritäten setzt.
In meinem Versuch, als Schottland ein paar irische Grafschaften zu annektieren, wurde mir das schmerzhaft bewusst. Gleiches Glaubensbekenntnis, ähnliche Kultur, und trotzdem war die Expansion so destabilisierend, dass ich die Gebiete schließlich an einen Vasallenstaat abgeben musste. In EU4 hätte ich zu diesem Zeitpunkt schon längst von einem kolonialen Weltreich geträumt. In EU5 war mein größter Traum, dass meine Adeligen einfach mal den Mund halten und die Bauern nicht schon wieder die Heugabeln rausholen.
Und das Beste daran? Es funktioniert. Die innere Balance eines Reiches ist kein simpler Zahlenwert mehr, sondern ein lebendiges System aus Fraktionen, Ressourcen und Bedürfnissen. Wenn ihr euch zu sehr auf den Ausbau eurer Wirtschaft konzentriert, vernachlässigt ihr automatisch eure Eliten. Das kann schnell zu Aufständen oder gar einem Bürgerkrieg führen.
Als mir in einer meiner Kampagnen der erste Bürgerkrieg ausbrach, war das keine geskriptete Katastrophe, sondern eine logische Konsequenz meiner eigenen Politik. Die materiellen Bedingungen im Land, wie Mangel an Luxusgütern, schlechte Handelsrouten oder unzufriedene Adelige, schaukelten sich langsam hoch, bis schließlich alles explodierte. Genau so sollte sich ein Grand Strategy Spiel anfühlen: fordernd, logisch, und manchmal auch gnadenlos ehrlich.
Europa Universalis V zwingt euch, euer Land als komplexes Geflecht zu sehen, in dem jede Entscheidung Folgen hat. Es dreht sich also nicht alles um Eroberung, sondern mehr über Gleichgewicht, und das macht es so faszinierend.
Mechaniken statt Missionsbäume – ein mutiger Schritt
Eines der auffälligsten Features von Europa Universalis V ist, wie konsequent Paradox mit alten Gewohnheiten bricht. Wo frühere Spiele wie EU4 oder Hearts of Iron IV stark auf Missionsbäume und vordefinierte Pfade setzten, verzichtet EU5 fast komplett auf diese Struktur. Statt euch vorzugeben, welchen historischen Weg euer Land einschlagen sollte, lässt euch das Spiel völlig frei entscheiden und zwingt euch, das über die Mechaniken selbst zu tun.
Das klingt erst einmal nüchtern, ist aber in der Praxis beeindruckend. Alles, was in eurer Nation passiert, von der Wirtschaft über die Zufriedenheit der Bevölkerung bis hin zu diplomatischen Krisen, ergibt sich organisch aus dem Zusammenspiel eurer Handlungen. Wenn ihr also übertreibt, zu viele Ressourcen in den Bau von Städten steckt oder den Adel ignoriert, entstehen Spannungen. Und diese Spannungen führen nicht zu einem plumpen Pop-up Event, sondern zu echten Konflikten, die ihr ausbaden müsst.
In meinem Schottland Run führte genau das zu einem Bürgerkrieg, der mich kalt erwischte. Nicht, weil das Spiel unfair wäre, sondern weil ich meine Prioritäten falsch gesetzt hatte. Die Adligen waren frustriert, weil ihnen der Zugang zu Luxusgütern fehlte, während ich alle Handelsrouten auf Holz, Stein und Werkzeuge ausgerichtet hatte. Aus einer kleinen Unzufriedenheit wurde ein lodernder Aufstand. Ich saß da einfach vor dem PC, überrascht, aber auch beeindruckt, wie logisch sich das Ganze anfühlte.
Dieser Schritt hin zu systemischem Storytelling, also Geschichten, die aus Mechaniken entstehen statt aus vorgefertigten Quests, ist mutig und großartig zugleich. Ihr spürt, dass jede Krise eure eigene Handschrift trägt, dass ihr sie selbst verursacht habt. Das macht Europa Universalis V nicht zu einem „Spiel über Geschichte“, sondern mehr als eine Simulation über wahre Verantwortung.
Eine Welt im Wandel und ihre Probleme

So beeindruckend die neuen Mechaniken von Europa Universalis V auch sind, sie bringen ihre eigenen Schwierigkeiten mit sich. Vor allem, wenn es um das große Ganze geht. Die künstliche Intelligenz etwa war in den frühen Versionen des Spiels einer der größten Kritikpunkte: Viele Reiche expandierten kaum, kolonisierten gar nicht und blieben über Jahrhunderte einfach passiv. Paradox hat hier sichtlich nachgebessert, doch perfekt ist das Gleichgewicht noch nicht.
Diese Passivität fällt besonders deshalb auf, weil EU5 deutlich früher ansetzt als sein Vorgänger. Das bietet theoretisch spannende Einblicke in die politische Transformation Europas vom Mittelalter zur Neuzeit. Praktisch gesehen aber bringt es neue Probleme mit sich. Mächtige Reiche wie Ming oder die Osmanen sind zu Beginn des Spiels noch gar nicht entstanden oder bleiben lange Zeit schwach. Dadurch verliert das Spiel stellenweise etwas von seiner historischen Wucht.
Auch in Europa passiert in den ersten Jahrzehnten oft überraschend wenig. Bis die Reformation oder die großen Kolonialbewegungen einsetzen, heißt es häufig: abwarten und die innere Ordnung stabilisieren. Und dann kommt die Schwarze Pest.
Das Spiel gibt der Katastrophe zwar Gewicht, denn ihr verliert gut und gerne ein Drittel eurer Bevölkerung, aber es fehlt ein Stück emotionale Tiefe. Anders als in Crusader Kings, wo ihr das Leid eurer Charaktere direkt spürt, bleibt die Pest hier eine nüchterne Zahl auf dem Statistikbildschirm. Euer Steueraufkommen sinkt drastisch, ja. Der Schock aber, die Angst, das Gefühl einer echten Krise bleibt aus.
Diese Distanz offenbart eines der Kernprobleme historischer Strategiespiele: Wir wissen, was passieren wird. Ihr kennt den Lauf der Geschichte, von der Entdeckung Amerikas über den Dreißigjährigen Krieg bis zur industriellen Revolution. Und selbst wenn EU5 euch vor neue Herausforderungen stellt, könnt ihr euch immer strategisch vorbereiten. Das ist realistisch, aber auch ein Dilemma: Ihr seid Zeitreisende mit Wissen, das eure Untertanen nie haben werden.
Trotzdem gelingt es Europa Universalis V erstaunlich oft, euch das Gefühl zu geben, Teil dieser Welt zu sein, auch wenn sie manchmal eher auf Zahlen und Tabellen als auf Emotionen basiert.
Von großen Plänen und kleinen Schwächen
Es gibt auch kleinere Probleme. Ein Beispiel dafür sind die fehlenden Komfortfunktionen. So könnt ihr zum Beispiel einem Verbündeten nicht direkt befehlen, sich auf einen Krieg vorzubereiten, was schnell nerven kann. Noch irritierender ist, wenn eure Bevölkerung nach Weizen und Reis verlangt, obwohl sie bereits andere Getreidesorten zur Verfügung hat.
Und auch die KI zeigt manchmal seltsames Verhalten: Sie kapituliert gelegentlich, obwohl noch eine unbesiegte Armee auf dem Feld steht. Diese Schwächen sind nicht spielzerstörend, aber sie trüben hin und wieder das sonst so überzeugende Gesamtbild.
Erzählt es gute Geschichten?
Bei all den beeindruckenden Mechaniken bleibt am Ende die einfache Frage: Erzählt Europa Universalis V auch spannende Geschichten? Paradox Spiele sind schließlich dann am besten, wenn es einfach Spaß macht, das eigene Land zu führen. Selbst wenn ihr die meiste Zeit nur innerhalb eurer Grenzen verbringt.
EU4 war darin nie besonders stark. Es stand ganz im Zeichen des Mottos „Der Weg ist das Ziel“: Ihr habt expandiert, euer Reich vergrößert, und sobald das erreicht war, blieb oft nicht mehr viel zu tun. In Crusader Kings dagegen ist schon der Weg zur Macht spannend, aber auch das Regieren danach hat seinen Reiz.
Und EU5? Die kurze Antwort: Ja, es besteht den Test mit Bravour. Es erzählt tatsächlich Geschichten, und zwar sehr interessante sogar, aber eben keine über einzelne Menschen, sondern über Wirtschaft, Gesellschaft und materielle Bedingungen. Ihr erlebt, wie Ressourcen, Handel und Klasseninteressen miteinander verwoben sind und das Schicksal eures Reiches formen.
Das mag trockener klingen, als es ist, doch gerade diese nüchterne, analytische Art sorgt dafür, dass jede eurer Entscheidungen Gewicht bekommt. Wenn ihr Freude daran habt, Systeme zu durchdringen und die Welt Schritt für Schritt in Balance zu halten, dann werdet ihr hier genau das finden, was ihr sucht.
Fazit – Ein Spiel für die Ewigkeit (aber nicht für jeden)
Selbst die Kritiker von Europa Universalis V sind sich einig: Dieses Spiel wird groß. Und ehrlich gesagt stimme ich zu. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es nicht irgendwann als das beste historische Strategiespiel aller Zeiten gilt. Nur: So weit ist es noch nicht.
EU5 ist kein unfertiger Release, aber man spürt, wie viel Potenzial hier noch schlummert. Schon jetzt ist es ein großartiges Spiel und ein faszinierender Simulator. Die Kernmechaniken sind das eigentliche Highlight: durchdacht, fordernd und frei von der Monotonie, die sich in anderen Paradox-Spielen wie Victoria 3 eingeschlichen hat.
Es geht hier um langfristige Planung und um das Reagieren auf unzählige Krisen. Das funktioniert alles hervorragend, egal ob ihr als Spanien, Mogadischu oder Ming spielt. Für Einsteiger lohnt sich vielleicht ein wenig Geduld, bis die ersten Updates und DLCs erscheinen. Ihr werdet trotzdem Spaß haben, aber etwas mehr „Flavor“ würde dem Spiel guttun.
Doch für die echten Paradox Veteranen gilt: Das hier ist euer Traumspiel. Paradox hat mit EU5 kompromisslosen Fan Service betrieben, und zwar voller Tiefe, Komplexität und Ehrgeiz. Das Ergebnis ist nichts weniger als eine strategische Meisterleistung. Wenn euch diese Art Spiel liegt, dann sage ich nur eins: Willkommen in eurem neuen Leben.
4/5
| Vorteile | Nachteile |
| Unglaublich tiefes, detailverliebtes Strategiesystem, das Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verbindet | Frühphase kann sich langatmig anfühlen, bevor die großen Ereignisse einsetzen |
| Realistische, nachvollziehbare Mechaniken statt geskripteter Missionsbäume | Die KI ist stellenweise noch zu passiv |
| Jede Entscheidung hat spürbare Konsequenzen, vom Handel bis zu Bürgerkriegen | |
| Wunderschöne Präsentation mit dynamischen Provinznamen und atmosphärischer Karte | |
| Riesiger Wiederspielwert für Strategie Fans, die Tiefe und Komplexität lieben |
Plattformen: PC
Entwickler: Paradox Development Studio
Herausgeber: Paradox Interactive
Erscheinungsdatum: 10. Oktober 2025
